1.2 Target Market

Version 4.1 vom 17.07.18

Für wen genau entwickelt ihr euer Produkt?

Die Zielgruppe (Target Market) ist die Teilmenge aller potenziellen Käufer bzw. Nutzer eines Angebotes, an die sich ein Unternehmen ausdrücklich wendet. Der Motorradhersteller Harley-Davidson definiert seine Zielgruppe beispielsweise als „Macho-Männer (oder Möchtegern-Machos), hauptsächlich in USA, die einer Bande Cowboys beitreten möchten“. Diese Zielgruppe besteht eben nicht aus allen Motorradfahrern weltweit, auch wenn jeder von ihnen prinzipiell ihre Produkte kaufen und sinnvoll nutzen könnte.

Die Zielgruppe umfasst nicht alle, die theoretisch das Produkt kaufen könnten. (Diese Gruppe wird Selling Target genannt). Vielmehr ist die Zielgruppe eine genau charakterisierte Teilmenge, für die das Unternehmen ein Produkt entwickeln kann, das genau auf deren Bedürfnisse zugeschnitten ist. Die Motorräder von Harley-Davidson sehen auch deutlich anders aus, als die Produkte anderer Hersteller, und das Unternehmen pflegt auch ein entsprechend unterschiedliches Image dazu.

There is only one winning strategy. It is to carefully define the target market and direct a superior offering to that target market.

Philip Kotler

Die Wahl der Zielgruppe hat drei wichtige Funktionen für Startups:

  • Sie macht Vorgaben für das zu entwickelnde Produkt. (Was muss es leisten? Welche Kundenvorteile muss es bringen?)
  • Sie bestimmt die Marketing-Strategie. (Wie präsentieren wir das Produkt? Welche Argumente verwenden wir? Welche Kanäle setzen wir ein?)
  • Sie gibt Hinweise, wo Testnutzer zu finden sind und später wie die ersten Kunden angesprochen werden können.

Startup-Gründer müssen also von Anfang an eine Vorstellung von ihrer Zielgruppe haben, sonst können sie mit ihrer Planung kaum Fortschritte machen.

Je präziser, desto besser

Startup-Gründer sind oft versucht, die Zielgruppe zu breit zu wählen. Dadurch wird sie zwangsläufig heterogen und nicht mehr handhabbar. Es ist meistens nicht möglich, ein Produkt zu entwickeln, das jeden begeistert, denn die Erwartungen innerhalb einer großen Gruppe unterscheiden sich zu stark. Selbst wenn dies möglich wäre, würde die Entwicklung eines solchen Produktes zu lange dauern und die beschränkten Ressourcen eines Startups überfordern.

Eine genau umrissene, homogene Zielgruppe hat gerade für Startups einige Vorteile:

  • Die Bedürfnisse ihrer Mitglieder sind ähnlich oder gleich. Dadurch kann das Produkt schneller entwickelt werden, und das Ergebnis gefällt allen besser.
  • Alle Mitglieder der Zielgruppe können mit demselben Kanal erreicht und mit denselben Botschaften angesprochen werden. Dies macht das Marketing einfacher und effizienter.

In großen Märkten werden nicht-typische Kunden von den Produkten großer Unternehmen meistens nicht optimal bedient. Startups können entstehen, indem sie sich auf solche Nischen spezialisieren. So gibt es beispielsweise einige Startups wie Wire, die sichere Kommunikationssoftware bauen. Ihre Zielgruppe sind Menschen, denen es nicht gefällt, dass ihre Nachrichten von Dritten gelesen und ihre Nutzerprofile weiterverkauft werden und daher die Produkte der großen, bekannten Unternehmen vermeiden möchten.

Präzision bedeutet nicht Verzicht

Gründer sträuben sich manchmal gegen eine enge Definition ihrer Zielgruppe, weil sie befürchten, dass das ihre Wachstumspotenzial einschränkt. Dies ist aber ein Irrtum: Die Zielgruppe beschreibt die Personen, auf die das Unternehmen ihre Bemühungen fokussieren will; Es wird aber dadurch niemand ausgeschlossen. Wenn beispielsweise eine Frau ein Motorrad von Harley-Davidson kaufen will, wehrt sich das Unternehmen ja nicht dagegen, auch wenn es das Produkt nicht für Frauen konzipiert hat. Außerdem gehört es zur Wachstumsstrategie eines Startups, zusätzliche Märkte nach und nach zu adressieren.

Zielgruppen werden über Bedürfnisse definiert

Zielgruppen sollten hauptsächlich über Kundenbedürfnisse definiert werden, zum Beispiel:

  • Abiturienten, die nicht wissen, welcher Studiengang für sie am besten geeignet ist.
  • Macho-Männer, die einer Bande Cowboys beitreten wollen.
  • Unternehmen, die die ölhaltigen Abfälle aus ihren Fabriken gesetzeskonform entsorgen müssen.

Diese drei Kategorien von Bedürfnis entsprechen dem Pain, Gain bzw. Job-to-be-done aus Kapitel 1.1 Customer Need.

Im Idealfall erfüllt die Zielgruppe die folgenden vier Kriterien:

  • Es sind die Personen, bei denen das Kundenbedürfnis aus Kapitel 1.1 am stärksten ist.
  • Es sind die Personen, die für die Lösung am leichtesten zu begeistern sind.
  • Es sind die Personen, die von den besonderen Vorzügen des Angebotes am meisten profitieren.
  • Es sind die Personen, die am wahrscheinlichsten das Angebot kaufen werden.

Traditionelle Merkmale allein sind nicht genug

Traditionell wurden Zielgruppen einfach über demografische Merkmale oder Statistiken definiert, z.B. bei Menschen Alter, Familienstand oder Einkommen oder bei Unternehmen Branche, Anzahl Mitarbeiter oder Jahresumsatz. Diese Vorgehensweise gilt aber für Startups als überholt, weil sie zu ungenau ist.

Demografische oder statistische Merkmale sollten eher als optionale Angaben benutzt werden, wenn sie zusätzliche Hinweise auf Kundenbedürfnisse beitragen können. Beim Vergleich…

  • „Frauen, die mehr Sport machen möchten“
  • „Frauen über 50, die mehr Sport machen möchten“

liefert die zusätzliche Altersangabe ergänzende Information über mögliche Zielgruppenbedürfnisse implizit mit.

Charakteristische Eigenschaften und Situationen

Spezifische Eigenschaften und Situationen können oft helfen, die Zielgruppen zu finden, die von einem Produkt am allermeisten profitieren können:

  • Statt: Architekten
    Besser: Architekten, die auf Sanierung spezialisiert sind.
  • Statt: Hundeliebhaber
    Besser: Menschen, die gerade einen neuen Hund bekommen haben.
  • Statt: Verlobte Paare
    Besser: Paare, die ihre Hochzeit planen.

Solche Merkmale sind für Gründer besonders wichtig, weil sie helfen, die spezifische Nische zu finden, die ihnen die größten Erfolgschancen beim Start verspricht.

Mehrseitige Märkte

Manche Geschäftsmodelle haben sogenannte mehrseitige Märkte, das heißt, sie bedienen zwei verschiedene Zielgruppen. Beispiele hierfür sind:

  • Ebay: Käufer und Verkäufer
  • Airbnb: Wohnungsbesitzer und Reisende
  • Google: Internet-Nutzer und werbende Unternehmen

Handels- und Maklerplattforme wie Ebay und Airbnb haben automatisch einen mehrseitigen Markt. Werbeplattforme wie Google und Facebook haben immer sowohl die Werbungtreibenden als auch die Nutzer, die Zielgruppe der Werbungtreibenden sind.

Startups mit einem mehrseitigen Markt haben den doppelten Arbeitsaufwand, denn sie müssen zwei Zielgruppen definieren, zwei Mengen von Kundenbedürfnissen ermitteln und Angebot entwickeln, das beide Zielgruppen gleichzeitig befriedigt.

Organisationen als Zielgruppe

Wenn die Zielgruppe aus Organisationen besteht, genügt es für Phase 1, diese Organisationen zu charakterisieren. Die einzelnen Menschen innerhalb dieser Organisationen, die die Kaufentscheidung beeinflussen, werden später (im Kapitel 4.1 Customer Profile und Kapitel 5.1 Customer Acquisition) betrachtet.

Die Schlüsselfrage zu diesem Kapitel

  • Wer genau braucht das Produkt, das ihr entwickeln wollt, und warum brauchen sie es? 

Nächste Schritte

Das Airchecker-Beispiel

Das sind die Zielgruppen, die die Airchecker-Gründer glauben, erkannt zu haben:

Teilnehmermaterial

PDF-Dateien zu diesem Kapitel für Teilnehmer an unseren Workshops und Seminaren:

  • Kapitel 1.2 Customer Needs
  • Arbeitsblatt 1.2.1 Zielgruppen charakterisieren

Der Zugriff auf die Dateien erfolgt über die Teilnehmerseite.