Hypothesen

Version 1.0 vom 08.8.17

Startup-Gründer sind wie Wissenschaftler. Beide wollen ins Unbekannte vorstoßen und ihr Verständnis für einen Teil der Welt verbessern. Ihre Forschungsmethode besteht darin, Vermutungen aufzustellen, die sie anschließend mit Hilfe von Experimenten prüfen. Wird eine Vermutung bestätigt, so wird sie beibehalten, im anderen Fall wird sie verworfen. Diese Vermutungen werden Hypothesen genannt.

Was ist eine Hypothese?

Eine Hypothese ist eine Annahme über eine Eigenschaft oder eine Funktionsweise einer Sache, die geprüft werden soll. Beispiele für Hypothesen sind:

  • Studenten würden gern Stellenanzeigen auf ihrem Smartphone erhalten.
  • Unsere Zielgruppe ist bereit, 49€ für die Basisversion unseres Produktes zu bezahlen.
  • Für unsere Zielgruppe ist Zuverlässigkeit wichtiger als Geschwindigkeit.

Nicht jede Annahme hat den Rang einer Hypothese; Die meisten von ihnen werden nie hinterfragt – entweder aus Bequemlichkeit, aus Vertrauen, dass sie zutreffen, oder weil eine Prüfung zu aufwendig oder sogar unmöglich ist.

Warum sind Hypothesen wichtig?

Startup-Pläne beruhen auf sehr vielen Annahmen, zum Beispiel über die richtige Charakterisierung der Zielgruppe, das Vorhandensein von Kundenbedürfnissen oder die Bereitschaft der Zielgruppe, zu wechseln. Oft genügt eine einzige falsche Annahme, um das Geschäftsmodell zu torpedieren.

Da Hypothesen aufgeschrieben werden müssen und eine präzise Formulierung benötigen, helfen sie Gründern, ihre Ideen zu schärfen.

Schließlich führt die systematische Erfassung und Prüfung der Hypothesen zu einer Reduktion des Risikos, das im Geschäftsmodell enthalten ist.

Ein berühmtes Beispiel: Zappos

Als Nick Swinmurn 1999 die Idee für seinen Online-Schuhhandel   Zappos hatte, war nicht bekannt, ob die Menschen überhaupt dazu bereit sein würden, Schuhe im Internet zu kaufen. Es waren auch Zweifel angebracht, weil ein wichtiger Aspekt des Schuhkaufs darin besteht, sie anzuprobieren, bevor man sie kauft.

Um also seine Problem-Solution Fit-Hypothese zu testen, hat Swinmurn ein Experiment durchgeführt. Er ging zu traditionellen Schuhhändlern und bat sie darum, ihre Ware fotografieren zu dürfen. Er baute einen einfachen Online-Shop und stellte die Fotos dort ein. Er versprach den Händlern, die Schuhe bei ihnen zu kaufen, falls es ihm gelingen würde, sie selbst zu verkaufen.

Auf diese Weise konnte er seine Hypothese schnell und billig prüfen. Er musste insbesondere keine Ware einkaufen und lagern, was aufwendig und teuer gewesen wäre und einen Komplettverlust, wenn er mit seiner Hypothese falsch gelegen hätte.

Das Experiment hat gezeigt, dass die Menschen sehr wohl dazu bereit gewesen sind, Schuhe im Internet zu kaufen sodass Swinmurn mit seinem Gründungsplan fortfahren konnte. Zappos wurde sehr erfolgreich und wurde 2009 für 940 Millionen Euro an Amazon gekauft.

Arten von Startup-Hypothesen

Die Annahmen, die Gründer machen, führen zu unterschiedlichen Arten von Hypothese.

In der Problem-Solution Fit-Phase sind die Hypothesen oft von der Art „X hat die Eigenschaft Y“:

  • Alleinerziehende Mütter in Großstädten haben es schwer, ein passendes soziales Umfeld zu finden.
  • Viele Unternehmen sind mit den Ergebnissen ihrer Innovationsprojekte unzufrieden.

Auf dem Weg zum Product-Market Fit stehen viele Hypothesen, die die Reaktion der Zielgruppe auf das Angebot des Startups betreffen:

  • Die Zielgruppe versteht das Nutzenversprechen und findet es überzeugend.
  • Die Nutzer stören sich nicht daran, dass sie das Produkt selbst aufbauen und konfigurieren müssen.

In der Wachstumsphase gibt es viele Hypothesen der Art „Wenn wir X probieren, wird die Zielgruppe Y reagieren“, die dazu dienen, die Effizienz der Kundenakquisition zu optimieren:

  • Regelmäßige Emails mit Tipps zur Benutzung des Produktes bewirken, dass mehr neue Nutzer zu Dauernutzern werden.
  • Nutzenversprechen A führt zu mehr Bestellungen als Nutzenversprechen B.

(Es ist diese letzte Kategorie von Hypothesen, die in der Startup-Literatur am häufigsten beschrieben wird.)

Eine Checkliste für gute Hypothesen

Um für Gründer nützlich zu sein, muss eine Hypothese eine Reihe von Bedingungen erfüllen:

  • Einfach. Sie sollte einfach aufgebaut und auf Anhieb verständlich sein.
  • Eindeutig. Sie darf keine missverständlichen oder mehrdeutigen Begriffe enthalten.
  • Prüfbar. Es muss eine Methode geben, um die Hypothese zu prüfen. Das heißt, es muss ein Experiment möglich sein, das eine konkrete Messung oder Beobachtung ermöglicht. Prüfbarkeit ist eine Voraussetzung für die Widerlegbarkeit.
  • Widerlegbar. Es muss ein potentielles experimentelles Ergebnis geben, das die Hypothese widerlegt.
  • Wichtig. Da die verfügbare Zeit knapp ist und die Anzahl der Hypothesen hoch, sollten sich Gründer nur mit Hypothesen beschäftigen, die für ihren Erfolg kritisch sind.
  • Interpretierbar. Es soll sowohl beim positiven als auch beim negativen Ergebnis klar sein, was die Bedeutung für das Startup ist.

Hypothesen sollten immer aufgeschrieben werden. Das erinnert die Gründer an das Risiko in ihrem Gründungsplan und bewahrt sie vor naivem Optimismus und Betriebsblindheit.

Die richtige Reihenfolge wählen

Die Liste der Annahmen, die zu prüfen sind, ist sehr lang. Es lohnt sich, eine effiziente Reihenfolge der Experimente zu wählen, denn die Annahmen sind unterschiedlich wichtig und können voneinander abhängen.

Generell gilt: Es sollten die Annahmen zuerst geprüft werden, die die größten Auswirkungen auf den Gründungsplan haben und von denen die meisten weiteren Annahmen abhängen. Deswegen ist die allererste Hypothese, die man prüft, die so sogenannte Customer-Problem Hypothesis – die Annahme, dass das vermutete Kundenbedürfnis überhaupt existiert. Ist dies nämlich nicht der Fall, ist der ganze Gründungsplan hinfällig.

Kombinierte Hypothesen vermeiden

Manche Hypothesen enthalten mehrere unabhängige Faktoren, zum Beispiel:

  • Studenten würden gern Stellenanzeigen auf ihrem Smartphone erhalten.

Diese Hypothese enthält zwei Faktoren:

  • Studenten würden gern Stellenanzeigen erhalten.
  • Studenten, die gern Stellenanzeigen erhalten würden, würden sie gerne auf ihrem Smartphone erhalten.

Gründer, die einen entsprechenden Anzeigenservice entwickeln wollen, könnten ein Experiment durchführen, bei dem sie eine große Anzahl von Studenten fragen:

  • Würdest du gerne Stellenanzeigen auf deinem Smartphone erhalten?

Wenn der Anteil der „Ja“-Antworten auf diese Frage beispielsweise bei nur 5% liegt, könnten die Gründer schlussfolgern, dass ihre Hypothese nicht zutrifft und ihre Geschäftsidee deswegen keine Zukunft hat.

Hätten sie aber die beiden Teilhypothesen A und B getrennt abgefragt, hätten sie möglicherweise entdeckt, dass 10% aller Studenten sich für Stellenanzeigen interessieren und dass die Hälfte von diesen die Information gern auf ihrem Handy empfangen möchte.

Hypothesen, die aus mehreren Komponenten bestehen, sollte man also in Teilhypothesen auftrennen, die separat untersucht werden können. Das vereinfacht die Prüfung und liefert mehr nützliche Information.

Die richtige Zielgruppe befragen

Ein weiteres Problem mit der Hypothesenvalidierung betrifft die Auswahl der Befragten. Eine schlechte Wahl kann zu irreführenden Ergebnissen führen, und eine gute Wahl kann nützliche neue Erkenntnisse zutage fördern.

Im obigen Beispiel ist die Zielgruppe „Studenten“ ziemlich allgemein. (Zielgruppen sind meistens präziser definiert.) Quer über alle Studenten (das heißt, beide Geschlechter, alle Studienrichtungen, beliebige Hochschulen, alle Studiensemester, …) lag das Interesse für die Zusendung von Stellenanzeigen bei 10%. Wenn aber das Interesse bei Studenten der Ingenieurfächer und der Informatik bei 50% und bei Studenten der Geisteswissenschaften bei 2% liegen würde, hätten die Gründer eine wichtige Präzisierung ihrer Zielgruppe erkannt und zugleich eine Bestätigung ihrer Hypothese für diese neue Zielgruppe erhalten.

Die einfachste und schnellste Testmethode wählen

Um Zeit und Geld zu sparen suchen Gründer immer die einfachste und billigste Methode, um ihre Hypothese zu validieren. Dies ist einer der Kernpunkte der Lean Startup-Philosophie. Viele bekannte Beispiele zeigen, dass kreative Gründer oft sehr effiziente Methoden finden, um ihre Hypothesen zu untersuchen. Manchmal reicht es, eine Landing Page zu erstellen und ein paar Euros für Google Adwords auszugeben oder eine Blitzumfrage unter einer Handvoll Kunden durchzuführen. Die Geschichte von Zappos ist auch ein gutes Beispiel dafür.

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