Version 1.1 vom 28.08.17
Wie soll euer Angebot für den Early Adopter-Markt aussehen?
Das erste marktfähige Produkt entscheidet über den Erfolg eines Startups. Es muss seine Early Adopters begeistern und einen möglichst schnellen Einzug in den Markt finden. Dafür muss es eine Reihe von anspruchsvollen Anforderungen erfüllen, obwohl nur wenige Ressourcen für seine Entwicklung zur Verfügung stehen.
Entscheidend für das erste marktfähige Produkt ist – wie auch beim MVP – die Entscheidung, welche Features und Funktionen ins Produkt gehören und welche (noch) nicht realisiert werden sollen. Die Faustregel lautet, „Vollwertig aber nicht vollumfänglich“.
Das Kano-Modell
Das Kano-Modell wird genutzt, um Produkteigenschaften hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Kundenzufriedenheit zu bewerten. Das Modell unterscheidet vier verschiedene Faktoren:
- Hygienefaktoren: Diese Produkteigenschaften fallen dem Kunden nicht auf, wenn sie vorhanden sind, aber er ist sofort unzufrieden, wenn sie fehlen. Sie müssen also unbedingt vorhanden sein, aber es macht keinen Sinn, mehr als das Notwendigste in sie zu investieren.
- Leistungsfaktoren: Diese Eigenschaften kennt der Nutzer und nutzt sie, um Alternativen zu vergleichen und eine Kaufentscheidung zu treffen. Ein Startup-Produkt muss bei den Faktoren, die der Zielgruppe wichtig sind, spürbar bessere Werte als die Alternativen liefern.
- Begeisterungsfaktoren: Der Kunde erwartet diese Eigenschaften nicht und ist begeistert, wenn er sie bekommt. Ein Startup-Produkt sollte mindestens einen Begeisterungsfaktor haben.
- Gleichgültigskeitsfaktoren: Dem Kunden ist es einerlei, ob diese Eigenschaften vorhanden sind oder nicht. Solche Eigenschaften sind natürlich überflüssig.
Das Kano-Modell ist sehr nützlich bei der Produktplanung. Es hilft den Gründern, zu erkennen, welche Features notwendig bzw. verzichtbar sind und welche besonders stark ausgeprägt sein müssen.
Eigenschaften des Launch Product
Es gibt eine Reihe von Design-Zielen, die zu einer schnellen Akzeptanz eines neuen Produktes beitragen:
- Einfach: Das Produkt muss für die Nutzer einfach zu nutzen sein und keine steile Lernkurve voraussetzen.
- Geringe Einstiegskosten: Die Kosten, die der Kunde tragen muss, um den ersten Nutzen aus dem Produkt zu ziehen, sollten so klein wie möglich sein. Zum Beispiel könnte das Basismodul sehr preiswert oder sogar kostenlos sein während die Zusatzmodule mit einem Aufpreis versehen sind.
- Leicht zu installieren: Im Idealfall braucht es keine Bedienungsanleitung und keine Umstellung des Umfeldes, um das Produkt in Betrieb zu nehmen.
- Value auf Anhieb erkennbar: Der Nutzer muss schnell erkennen können, dass er tatsächlich den versprochenen Nutzen durch das Produkt erhält.
- Kompatibilität: Falls das Produkt mit anderen zusammenspielt, sollte es zu ihnen kompatibel sein und eine möglichst einfache Schnittstelle zu ihnen haben.
- Leicht zu nutzen: Der Einsatz des Produktes sollte keine Änderungen in der Arbeits- oder Denkweise seiner Nutzer voraussetzen.
- Klare Vorteile: Es sollte für den Nutzer klar sein, dass sich der Kauf des Produktes für ihn lohnt. Zum Beispiel an Hand der Arbeitszeit, die er damit spart.
Wenn es den Gründern gelingt, diese Design-Ziele zu erreichen, schaffen sie glückliche Kunden, die auf das neue Produkt nicht mehr verzichten möchten und die dem Startup beim „Sprung über den Abgrund“ (Kapitel 4.4) helfen können.
Better to make a few users love you than a lot ambivalent.
Paul Graham
Die Kunst des Weglassens
Gründer können in die Versuchung geraten, ihr erstes Produkt zu kompliziert zu machen. Das birgt mehrere Gefahren in sich:
- Die Entwicklung dauert zu lang. Sie werden nie fertig oder sie verpassen den optimalen Zeitpunkt. Geschwindigkeit ist der größte Wettbewerbsvorteil, den Startups besitzen.
- Die Entwicklung wird zu teuer. Die Ressourcen von Startups sind beschränkt; Sie können es sich nicht leisten, Geld zu verschwenden.
- Sie verfehlen ihr Ziel. Das Produkt erfüllt die Bedürfnisse der Early Adopters nicht.
Manche Entscheidungen, bestimmte Entwicklungen wegzulassen sind eher einfach:
- Wenn unsere Early Adopters meistens Macbooks verwenden, brauchen wir zunächst keine Windows-Version unserer App.
- Wenn unsere Early Adopters alle sportliche Männer sind, braucht es unser Fahrrad mit kleinen Rahmengrößen zunächst nicht.
Andere Entscheidungen können schwieriger sein:
- Auch wenn es viele Produkte gibt, die wir an die Eltern von Kleinkindern vermieten könnten (Spielzeug, Fahrräder, Lernhilfen, …) beschränken wir uns zunächst darauf, die Vermietung von Kinderkleidung zu perfektionieren.
- Es ist uns klar, dass wir für unsere Projektmanagement-Software irgendwann die volle Auswahl an Schriftarten und -größen anbieten müssen. Dennoch bieten wir zunächst keine Auswahl an, denn die Begeisterungsfaktoren, von denen der Erfolg des Produktes abhängen, liegen bei ganz anderen, viel strategischeren Fähigkeiten.
Das Kano-Modell hilft, die verfügbaren Ressourcen für die Entwicklung einzelner Features optimal einzusetzen. Voraussetzung für diese Optimierung ist die genaue Kenntnis der Bedürfnisse der Zielgruppe sowie der spezifischen Wünsche der Early Adopters.
Nächste Schritte
- Lest jetzt bei Kapitel 4.4 Getting Traction weiter.
Das Airchecker-Beispiel
So interpretieren die Airchecker-Gründer die verschiedenen Features ihres Produktes:
- Airchecker-Beispiel 4.3.1 Produkt-Features mit dem Kano Modell bestimmen
- Airchecker-Beispiel 4.3.2 Produktakzeptanz mit TACOS verbessern
Teilnehmermaterial
PDF-Dateien zu diesem Kapitel für Teilnehmer an unseren Workshops und Seminaren:
- Kapitel 4.3 Launch Product
- Arbeitsblatt 4.3.1 Das Kano-Modell
- Arbeitsblatt 4.3.2 Produktakzeptanz mit TACOS verbessern
- Werkzeug 4.3.3 100 TACOS-Anregungen
Der Zugriff auf die Dateien erfolgt über die Teilnehmerseite.